Die neuen “Verkehrsbeschränkungen” des Epidemiegesetzes: Der endgültige Abschied vom liberalen Rechtsstaat?

Jun 20, 2022 | Gesundheitspolitik, Innenpolitik, MFG Wien | 0 Kommentare

Kommentar von Rechtsanwalt Dr. Mag. Georg PRCHLIK, Landessprecher der MFG Wien

Den Gegenstand dieses Artikels bildet eine neue Bestimmung des Epidemiegesetzes, welche

  • nicht auf dem üblichen Weg einer Regierungsvorlage oder eines Initiativantrages eingebracht, sondern vielmehr durch die Hintertür eines “Abänderungsantrags” ins Parlament geschmuggelt worden ist,
  • aber einen der bedeutendsten Grundrechtseingriffe in unserer an autoritären Maßnahmen reichen Zeit darstellt.

Zur Ausgangssituation:

Entsprechend der bisherigen Rechtslage besteht die Möglichkeit, durch Erlassung einer Verordnung anzeigepflichtige Krankheiten zu bezeichnen, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen “Absonderungsmaßnahmen” (Quarantäne) verfügt werden können.
Nach dieser Regelung des§ 7 Abs. 1 EpidemieG kann also durch allgemeine Verordnung nur festgelegt werden, dass die Möglichkeit der Verhängung von Absonderungsmaßnahmen besteht. Die Anordnung der Absonderung einer konkreten Person (z. B. die Verhängung der Quarantäne über Hans Meier wegen SARS-Cov-2-Ansteckungsgefahr) muss in einem individuellen Verwaltungsverfahren erfolgen, in dem eine Verwaltungsbehörde

  • prüft, ob die Voraussetzungen für die Absonderung gegeben sind (etwa: SARS-Cov-2-Infektion durch PCR-Test (nachgewiesen?) und
  • im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen einen Absonderungsbescheid erlässt,

wobei dieser Bescheid vom Betroffenen durch ein Rechtsmittel (Beschwerde an das Verwaltungsgericht gemäß § 7a EpidemieG) bekämpft werden kann.

Der neue § 7b EpidemieG (“Verkehrsbeschränkungen”):

§ 7b EpidemieG – jene Bestimmung, die massivste Grundrechtseingriffe ermöglicht (siehe dazu unten) – ist auf geradezu abenteuerliche Weise ins Parlament geschmuggelt worden:
Am 19.05.2022 wurde unter Federführung der Abgeordneten Gabriele Schwarz (ÖVP) und Ralph Schallmeier (Die Grünen) der Initiativantrag 2591/A zur Reformierung des Epidemiegesetzes und des COVID-19-Maßnahmengesetzes eingebracht. Dieser Initiativantrag enthielt nur kurze formale Angaben und eine nichtssagende Begründung:

Artikel 1
Änderung des Epidemiegesetzes 1950

Das Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBI. Nr. 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz
BGBI. 1Nr.21 /2022, wird wie folgt geändert:
In der Überschrift zum zweiten Hauptstück entfällt der Punkt.

Artikel 2
Änderung des COVID-19-Maßnahmengesetzes

Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-
19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGB!. 1 Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das
Bundesgesetz BGB!. 1 Nr. 6/2022, wird wie folgt geändert:
In § 4a Abs. I wird die Wort- und Zeichenfolge „COVID-19-erforderlich“ durch die Wort- und
Zeichenfolge „COVID- 19 erforderlich“ ersetzt.
(Anmerkung des Autors: Der Bindestrich nach 19 wurde entfernt.)

Begründung

Zu Artikel 1 (EpiG):
Es handelt sich um redaktionelle Anpassungen, die auf Grund der Neugestaltung von § 7 Abs. 1 a EpiG
durch das Bundesgesetz BGBI. 1 Nr. 183/2021 erforderlich sind.

Zu Artikel 2 (COVID-19-MG):
Im COVID-19-MG wird ein Tippfehler bereinigt.“
Dieser inhaltlich banale Antrag wurde am 08.06.2022 in einer Sitzung des parlamentarischen Gesundheitsausschusses behandelt. Im Zuge dieser Sitzung erklärten Schwarz und Schallmeier plötzlich, ihren Initiativantrag abändern zu wollen; dieser Abänderungsantrag schuf allerdings völlig neue Verhältnisse:

  • Die Länge des nunmehr vorgeschlagenen neuen Gesetzestextes betrug ein Vielfaches der Länge des im Initiativantrag vorgesehen gewesenen Textes, wobei unter anderem vier neue Paragraphen in das Epidemiegesetz und ein neuer Paragraph in das COVID-19-Maßnahmengesetz eingefügt werden sollten.
  • Die neu vorgeschlagenen Bestimmungen beinhalteten massive Eingriffe in die Grundrechte (neben den unten zu behandelnden “Verkehrsbeschränkungen” etwa Eingriffe in den Datenschutz).

Die Abgeordneten der Regierungsparteien haben also einen politisch höchst brisanten Gesetzesantrag in einer solchen Weise eingebracht, dass eine sinnvolle Begutachtung oder Abgabe von Stellungnahmen nicht möglich gewesen ist; abgesehen von dieser an Sabotage erinnernden Behinderung liegt hier auch eine grobe Missachtung des Parlaments vor.
(Quelle betreffend den Geschehensablauf: Bericht des Gesundheitsausschusses vom 08.06.2022, 1503 Blg NR XXVII.GP)
Der Gesetzesvorschlag ist am 15.06.2022 durch Beschluss des Nationalrats angenommen worden; das Gesetzgebungsverfahren steht damit kurz vor dem Abschluss.
Nun zum neuen § 7b EpidemieG selbst:

Wie eingangs dargestellt, hat die bisherige Rechtslage hinsichtlich einzelner Personen der Regierung lediglich die Möglichkeit geboten, diese Personen

  • einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu unterziehen und
  • gegebenenfalls durch einen Bescheid abzusondern,

wobei der Bescheid mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpft werden kann.

Der neue § 7b EpidemieG bringt eine sehr viel weitergehende Möglichkeit, in die Lebensgestaltung von Menschen einzugreifen und ihr Grundrecht auf Freiheit zu beschneiden:
Nach dieser Bestimmung kann der Gesundheitsminister unmittelbar durch Verordnung anordnen, dass kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen “im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden”.

Als Verkehrsbeschränkungen können dabei insbesondere vorgesehen werden:

  • Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten und Befahren von Betriebsstätten, Arbeitsorten, Alten- und Pflegeheimen sowie stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe, bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit, für das Benutzen von Verkehrsmitteln und für Zusammenkünfte (§ 1 COVID-19-MaßnahmenG); als Auflagen kommen insbesondere in Betracht:
    • das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr,
    • die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung und
    • Abstandsregeln;
    • sofern die oben genannten Maßnahmen nicht ausreichen: die Untersagung des Betretens und Befahrens von Betriebsstätten (!), Arbeitsorten (!), Alten- und Pflegeheimen sowie stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe und bestimmten Orten, des Benutzens von Verkehrsmitteln (!) und von Zusammenkünften.

Diese Liste ist – wie sich aus dem Begriff “insbesondere“ ergibt – nicht vollständig; der Gesundheitsminister kann vielmehr noch weiterreichende Maßnahmen anordnen, welche die “Verkehrsbeschränkungen” faktisch in die Nähe der Quarantäne rücken.

Das bedeutet:

  • Während bisher die Absonderung einzelner Personen durch Quarantäne nur im Rahmen von jeweils gegen die betreffende Person geführten Verwaltungsverfahren möglich war, wobei gegen den Bescheid Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden konnte,
  • können jetzt “Verkehrsbeschränkungen”, die in ihren Wirkungen mit einer Quarantäne vergleichbar sind, gegen einzelne Personen durch Verordnung des Gesundheitsministers, also
    • ohne ein verwaltungsbehördliches Verfahren und
    • ohne einen beim Verwaltungsgericht anfechtbaren Bescheid

verhängt werden.

(Bemerkt sei, dass gemäß dem nunmehr entsprechend reformierten § 28a EpidemieG die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (sprich: die Polizisten) die nach dem Epidemiegesetz zuständigen Behörden und Organe über deren Ersuchen zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen haben.)

Daraus aber ergibt sich eine weitere Verdunkelung des demokratiepolitschen Bildes unserer Republik:

Ein Staat, in dem massiv freiheitsbeschränkende Maßnahmen ohne einen Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte verhängt werden können, verdient schwerlich die Bezeichnung „liberaler Rechtsstaat“.

Rechtsanwalt Dr. Mag. Georg PRCHLIK,
Landessprecher der MFG Wien

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